Veränderungen

Ein Gastbeitrag von Dr. Ilona Bürgel „Wir fusionieren“, „Wir ziehen um“, „Wir strukturieren um“. Diese Ankündigungen in Unternehmen werden – gefühlt – immer häufiger und sie bewirken meist Verunsicherung oder Angst. Gefühlt soll heißen, alles ist wie immer relativ. Laut Stressreport 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin liegt Deutschland mit 31 Prozent Menschen, die in den letzten drei Jahren eine Umstrukturierung erlebt haben, genau im europäischen Mittel. Und es gab zwischen 2006 und 2012 einen leichten Rückgang in Deutschland von 46 Prozent auf 42 Prozent. Wie so oft sprechen die Zahlen eine andere Sprache als unsere Wahrnehmung. Diese ist tendenziell negativ und schadet damit den Unternehmen und den Einzelnen.

Was bei Veränderungen automatisch mit uns geschieht

Zunächst einmal ist die Reaktion mit Stress ganz normal. Stress ist eine Aktivierungs- und Anpassungsreaktion des Körpers auf sich verändernde Umgebungsbedingungen. Jede Körperzelle ist damit rund um die Uhr beschäftigt. Wir können es also. Die Stressreaktion führt auch dazu, dass wir unsere körperlichen und geistigen Ressourcen mobilisieren, um zu handeln. Ohne das Stresshormon Cortisol kämen wir früh kaum aus dem Bett. Ein weiterer Automatismus hinter den negativen Gefühlen kommt vom so genannten Neulandinstinkt. Hier springen ganz alte Gehirnareale an. Deren Aufgabe ist es, unser Überleben zu sichern. In den frühen Stadien der Menschwerdung waren Veränderungen lebensgefährlich. Weil das Wasser oder die Nahrung alle waren, man neue Lebensräume erobern musste, in denen wilde Tiere oder andere hungrige Stämme warteten. Deshalb fühlen wir uns heute bei Veränderungen so bedroht. Ganz besonders wichtig ist zu wissen, dass es das Phänomen des katastrophischen Gehirns gibt. Auch dies ist ein menschheitsgeschichtlich alter Automatismus, sich auf Gefahren und Negatives zu konzentrieren. Damals wie heute ist es wichtig ganz schnell zu erkennen, dass wir uns schützen müssen. Früher davor, gefressen zu werden, heute davor, die Vorfahrt genommen zu bekommen. Negativer Stress und katastrophisches Gehirn führen zum bekannten „Tunnelblick“. Wir sehen nicht mehr rechts noch links, wiederholen, was wir immer tun, unabhängig davon, ob es eine gute Lösung ist. Wir fahren sozusagen mental fest. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Denn unsere Gedanken sind wie ein Filter für unsere Wahrnehmung. Wir nehmen nicht mehr alle Informationen wahr, sondern nur die, die unsere Gedanken bestätigen. Dieser so genannte Bestätigungsirrtum ist tückisch, weil wir selbst uns noch für objektiv halten. Generell gilt es zu bedenken, dass unser Gehirn keinen Unterschied macht, ob es auf eine Vorstellung oder eine Wahrnehmung von außen reagiert. Die Vorstellung etwas zu verlieren, schmerzt ähnlich wie ein realer Verlust. Leider verselbständigt sich der Problemfokus. Das merken Sie daran, dass Sie Ihre Sorgen, Ängste und Ärgernisse nicht nur ständig wiederholen, sondern auch größer und schlimmer machen, als sie in der Realität sind. Meistens merken wir das nicht einmal, weil wir so daran gewöhnt sind, zu grübeln und uns Sorgen zu machen. Und das machen wir oft in einem Augenblick, wo das Problem noch gar nicht da oder schon vorbei ist und wir gesund, satt und sicher auf unserem Sofa sitzen oder im Bett liegen. In diesem Zustand sind wir für logische Argumente nicht mehr offen, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden werden ganz schnell weniger. Versuchen wir dann noch, unsere Sorgen und Ängste zu unterdrücken, werden wir krank. Denn dieser Prozess kostet Kraft und Energie. Fazit: Nicht die Veränderungen an sich machen uns zu schaffen oder sogar krank, sondern wie wir darauf reagieren. Schnell entstehen Abwärtsspiralen, in den wir Teams aber auch die Familien mitziehen. Es geht auch anders und zwar so.

Die Perspektive macht den Unterschied

Die Psychologin Barbara Fredrickson hat herausgefunden, dass es nützlich ist, bei schlechter Stimmung an etwas Positives zu denken. Zum einen gleichen die guten Gefühle die negativen in der Wirkung auf Körper und Geist aus. Das heißt, wer etwas Freudvolles erlebt oder denkt, erholt sich zum Beispiel auf Herzkreislaufebene nach einer Angsterfahrung schneller. Zum anderen erleichtert uns eine positive Stimmung die Wahrnehmung positiver Dinge. Das verbessert die Stimmung und ein positiver Kreislauf entsteht, mit dem wir auch andere „anstecken“ können. Glücksinterventionen wie die bewusste Wahrnehmung und Ausübung von Optimismus, Dankbarkeit, Freundlichkeit oder guten Taten helfen durch ihren Einfluss auf positive Gefühle und Gedanken. Sie machen uns widerstandsfähig gegenüber Bedrohung oder Unglück und wir erholen uns besser von negativen Ereignissen. Dahinter stehen drei Mechanismen: Positive Emotionen ermöglichen eine Art Auszeit in Stressphasen. Glücksinterventionen ersetzen negative Gedanken, indem sie positive stärken. Normale Alltagsroutinen wie Kochen oder Ausgehen werden von Menschen, die regelmäßig Dankbarkeit oder Optimismus trainieren, positiver wahrgenommen. Schließlich wird häufiger positiv gedacht und interpretiert und das wiederum fördert das Wohlbefinden. So wie negative Emotionen die Perspektive einschränken, erweitern positive sie, öffnen das Herz und machen kreativ. Dies besagt die „Broaden-and-bulid-Theorie“: Beide, positive und negative Gefühle, haben ihre Berechtigung. Negative Gefühle sind in konkreten Situationen überlebenswichtig, positive für langfristiges Lernen. Das zahlt in Ihre positiven Emotionen ein: Befassen Sie sich mit Tatsachen statt mit Spekulationen: Besorgen Sie sich Fakten zu dem, was Sie bewegt. Fragen Sie sich, wenn Sie nachdenken, öfter „Ist das eine Information oder eine Spekulation?“ Lassen Sie sich außerdem nicht alles von sich gefallen: Nehmen Sie wahr, wenn Sie sich in Grübeleien verfangen, wenn Sie sich mit anderen Menschen gegenseitig mit Befürchtungen anstecken. Korrigieren Sie Denkirrtümer. Machen Sie sich klar, wenn Sie Meinungen austauschen, dass dies Meinungen sind. Stoppen Sie Mitarbeiter, die immer wieder jammern oder schimpfen. Wenn Sie keine Grenzen setzen, werden diese auch nicht eingehalten. Handeln Sie, statt zu grübeln: „Man müsste“, „wir sollten“ – davon ändert sich nichts. Wenn Sie Ideen haben, wie es besser gehen kann, dann bringen Sie sie ein. Und bleiben Sie dran, statt nach zwei Versuchen aufzugeben. Gehen Sie deshalb auch den ersten Schritt. Ja, die Zeiten ändern sich und werden dies auch weiter tun. Daran wird uns manches gefallen, anderes sorgen. Suchen Sie nach den Dingen, die Sie beeinflussen können und tun Sie das. Leider ist ein Zeichen unserer Wohlstandsgesellschaft, dass wir träge geworden sind.

Wie Sie in Veränderungssituationen leistungsfähig und gut drauf bleiben

1. Wohlbefinden braucht Anstrengung

Wohlbefinden wird in der neuen Wissenschaft mehr als bisher über angemessene Anstrengung definiert. Für Sie heißt das, dass jede Veränderung eine Anpassung in der Nutzung der eigenen Stärken und Ressourcen erfordert. Und genau diese Anstrengung wird mit Wohlbefinden belohnt. Bliebe immer alles beim Alten, wie wir uns das manchmal wünschen, führte das in den Boreout-Zustand, die Langeweile. Leistungsfähigkeit und Engagement werden dabei genauso reduziert wie durch Überforderung.

2. Setzen Sie auf Ihre Resilienz

Wir haben schon so viel in unserem Leben hinbekommen, sind aus Krisen gestärkt hervorgegangen, haben gelernt, was nötig war. Jeder hat Veränderungen aller Art hinter sich gebracht. Wir sind viel resilienter als wir manchmal glauben. Erinnern Sie sich z. B. mit Ihren Teams in besonders schwarzen Momenten an konkrete Situationen, die Sie bewältigt haben. Das stärkt das Vertrauen in sich und die Zukunft. Gab es nicht auch bei der letzten Umstrukturierung zu wenige und zu spät Informationen? Und trotzdem hat sie am Ende funktioniert. Suchen Sie nach guten Beispielen, wie Sie das damals hinbekommen haben und machen Sie das Gelungene nach.

3. Sehen Sie die kleinsten positiven Veränderungen

Wir tendieren dazu, Menschen und Dinge immer wieder gleich wahrzunehmen. Bei einer schwatzhaften Kollegin werden wir immer Momente wahrnehmen, wo sie schwatzt. Achten Sie besser darauf, wann sie mal still ist. Ist der Chef kein guter Redner? Wenn Sie das glauben, werden Sie das erleben. Schauen Sie lieber, was dieses Mal bei seiner Kommunikation gelungen ist.

4. Entscheiden Sie sich

Freiwilligkeit, der Wille zur Verbesserung und gute Absichten sind der Kompass, der Sie durch jede Krise bringt. Das Argument, Sie hätten sich die neue Situation ja nicht ausgesucht, bringt Sie nicht weiter. Nur eine klare Entscheidung, ob Sie dabei sind, oder nicht. Es gibt immer Alternativen. An jedem Ort und in jedem Alter. Fachleute werden überall gesucht. Was besonders viel Kraft kostet, ist das Hin und Her. Eigentlich will ich das nicht mitmachen, aber ich mache doch mit. Sagen Sie „ja“ oder „nein“ und halten Sie sich daran.

5. Werden Sie aktiv

Viel zu oft verhalten sich Menschen wie das Kaninchen vor der Schlange – gar nicht. Abwarten ist eine mögliche Strategie. Wahrscheinlich nicht die Beste. Denn dann reagieren Sie nur auf das, was kommt, statt darauf Einfluss zu nehmen. Selbst wenn Sie keine Informationen haben, können Sie sich einen Marktüberblick verschaffen, ein Zwischenzeugnis anfordern, Visionen entwickeln, was Sie zum neuen Unternehmenskonzept beitragen würden. Was sind Ihre Stärken und Talente? Was wollen Sie lernen? Je besser Sie vorgedacht haben, umso besser fühlen Sie sich und treten ganz anders auf.

6. Erwarten Sie Positives

Was kann bei einer Veränderung für Sie herauskommen? Die Chancen stehen gemäß Wahrscheinlichkeitsrechnung mindestens 50 zu 50 für etwas Gutes. Der Arbeitsweg kann länger werden, aber auch mehr Freiraum bringen. Die neuen Kollegen und Chefs können netter und partnerschaftlicher sein. Wenn es nicht mehr Geld gibt, dann vielleicht eine Weiterbildung. Suchen Sie nach dem Guten dann finden Sie es auch! Und schon fünf Minuten Tagträumen mit guten Gedanken führen zu mehr Optimismus. Man geht gelassener mit Stress um, sorgt sich weniger und ist kreativer. So bleiben Sie gesund und leistungsfähiger.

7. Sorgen Sie gut für sich

Wer ausgeglichen und gelassen ist, reagiert anders auf schlechte Nachrichten. Er kann sie besser relativieren und wird sich weniger aufregen. Wir sind weniger anfällig für Neid und Sorgen. Tun Sie sich jeden Tag etwas Gutes. Nur wenn es Ihnen gut geht, haben Sie auch etwas zum Abgeben.   Dr. Ilona Bürgel ist Diplom-Psychologin und Expertin für Leistung UND Wohlbefinden. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, aufzuzeigen, wie der Spagat zwischen Lust auf Leistung und Erhalt der eigenen Ressourcen in der Welt von heute gelingen kann. Nach 15 Jahren in Führungspositionen der freien Wirtschaft ist sie heute erfolgreiche Referentin, Beraterin, Autorin und Kolumnistin. Sie wurde vom Ministerium für Wirtschaft und Energie als Vorbildunternehmerin ausgezeichnet. Dr. Ilona Bürgel liebt Schokolade und lebt und arbeitet in Dresden und Århus DK.


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