Barrieren im Kopf
Trotz des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) stehen die größten Barrieren für Bewerber mit einem Handicap in den Köpfen der Personalverantwortlichen. „Menschen mit Behinderung sind erstmal – aus Sicht des Arbeitgebers – nachteilig“, bringt Michael Graus von den Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) die Sache auf den Punkt. Graus ist Koordinator für die berufliche Integration von Menschen mit Behinderung am bfz Augsburg. Gegenüber dem Internet-Portal myhandicap.de formuliert er die Gründe: „Sie bekommen Sonderurlaube und haben einen besonderen Kündigungsschutz.“ Viele Arbeitgeber gehen automatisch davon aus, dass ein körperlich behinderter Angestellter weniger leistungsfähig ist als ein gesunder Mitarbeiter. Häufige Arzttermine, gesundheitsbedingte Ausfälle, geringere Belastbarkeit und nicht zuletzt notwendige Umbaumaßnahmen für einen behindertengerechten Arbeitsplatz schrecken ab. Diese negative Grundhaltung müssen Bewerber mit einem Handicap erst einmal brechen.
Realistisch sein: Wo macht eine Bewerbung Sinn
Im ersten Schritt gilt es, passende Stellenangebote zu finden. Wer beim Sichten der Stellenanzeigen analytisch vorgeht und sich selbst realistisch hinterfragt, erspart sich bereits im Vorfeld unnötige Absagen. „Man sollte sich nur dort bewerben, wo die Einschränkung nicht von überragender Bedeutung ist“, empfiehlt Graus auf myhandicap.de. Um sicher einschätzen zu können, ob das eigene Handicap relevant oder unerheblich für die Ausübung des Jobs ist, hilft es, sich alle Aufgaben und Anforderungen in der Stellenanzeige zu notieren. Formulierungen wie „…sind erforderlich“, „…werden vorausgesetzt“ oder „fundierte Kenntnisse“ weisen auf Muss-Kriterien hin. Kann der Bewerber diese aufgrund mangelnder Qualifikation oder aber aufgrund seiner körperlichen Einschränkung nicht erfüllen, sollte er nach einer anderen Stelle suchen.
Bewerbungsunterlagen: Sag ich’s oder sag ich’s nicht
Eine persönliche Entscheidung verlangt die Frage, ob die Behinderung bereits in der schriftlichen Bewerbung erwähnt werden soll oder nicht. Hier scheiden sich die Geister. Viele sind der Meinung, je offensichtlicher eine Behinderung ist, umso eher sollte man sie in eine schriftliche Bewerbung aufnehmen. Siham Bijjou ist da anderer Ansicht. Die gelernte Bürokauffrau ist von der Hüfte abwärts querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Ihren Job als Assistentin der Geschäftsleitung eines mittelständischen Callcenters hat sie bekommen, weil sie es bis ins Bewerbungsgespräch schaffte und dann alle von sich überzeugen konnte. „Hätte ich meine Behinderung bereits in der Bewerbung angegeben, hätte ich die Unterlagen mit einer Absage zurückbekommen.“ Mehrmals hat sie es auf diese Weise versucht. Das Ergebnis war jedes Mal das gleiche. „Erst als ich im Anschreiben den Rollstuhl nicht erwähnt habe, kamen die Einladungen zum Vorstellungsgespräch.“ Spätestens bei der Terminabsprache am Telefon hat sie das Unternehmen dann über ihre Behinderung informiert.
Behinderte bevorzugt
In manchen Branchen oder bei bestimmten Unternehmen hingegen muss der frühe Hinweis auf eine Behinderung nicht nachteilig sein. Behörden und Ämter zum Beispiel sind verpflichtet, fachlich passende Schwerbehinderte und Gleichgestellte zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen und bei der Stellenvergabe zu bevorzugen. Auch große Konzerne wie Siemens ermutigen Menschen mit Handicap zu einer Bewerbung. Eine Integrationsvereinbarung des Unternehmens hält fest, dass die Neueinstellung von schwerbehinderten Mitarbeitern gefördert wird. „Bei gleicher Qualifikation werden schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber und diesen gleichgestellte Menschen bevorzugt berücksichtigt“, heißt es auf der Konzern-Website. Um zu verhindern, dass die Unterlagen in der großen Bewerberflut durch Raster der Personaler rutschen, können sich Bewerber mit Handicap direkt an einen auf der Webseite genannten Siemens-Ansprechpartner wenden.
Bewerbungsgespräch: Sich seiner Stärken bewusst sein
„Die ersten zehn Minuten im Bewerbungsgespräch sind meist hart“, berichtet Siham Bijjou. „Da braucht man schon ein dickes Fell, um die meist unbewussten Reaktionen der Gesprächspartner nicht persönlich zu nehmen.“ Ihr wichtigster Tipp in solchen Situationen: Sich bloß nicht den Wind aus den Segeln nehmen lassen! „Man muss in die Offensive gehen, Fragen stellen, interessiert sein und sich darauf konzentrieren, was man dem Unternehmen als Mitarbeiter bieten kann.“ Aus Erfahrung weiß die junge Frau, dass die Atmosphäre dann schnell entspannter wird und ihr Rollstuhl zur Nebensache gerät. Von sich aus hat sie ihre Behinderung noch nie angesprochen. „Die Frage danach kommt ohnehin im Verlauf des Vorstellungsgesprächs.“ Dann empfiehlt sie, ganz offen zu antworten, dabei aber immer positiv zu bleiben. „Kein Personaler möchte hören, was man aufgrund seiner Behinderung alles nicht kann. Ist man sich stattdessen seiner Stärken bewusst und kann diese mit einer positiven Haltung vermitteln, dann klappt’s auch mit dem Job.“
Mehr Informationen zum Thema gibt es unter: http://www.myhandicap.de (Weitere Quellen: www.siemens.de, www.berufszentrum.de, www.bfz.de) Bildquelle: © auremar – Fotolia.com